Geschichte der Traumatherapie

Mit der Moderne verbunden ist die Idee eines (relativ) autonomen Subjektes. Das Trauma signalisiert dagegen den starken Verlust von Autonomie – durch Einbruch äußerer Gewalt verliert der Mensch seine Selbstbestimmung. Der Autonomieverlust erscheint dabei auf Dauer gestellt, da die traumatische Erfahrung die Betroffenen innerlich besetzt.

Drei Geschehnisse wurden mit dem Beginn der Traumaforschung als verletzende Gewalt thematisiert: technische Unfälle (umweltbedingte Katastrophen), Kriege und Flucht (soziale Katastrophen) sowie Missbrauch und sexuelle Gewalt (Beziehungskatastrophe).

In der Geschichte der Psychotraumatologie fallen zunächst nationale Diskurse auf: so wurden Ende des 19. Jahrhunderts in England, den USA und später auch in Deutschland zunächst vorwiegend die Unfallfolgen untersucht (Eisenbahnunfälle), in Frankreich dagegen geriet stärker die Problematik des sexuellen Missbrauchs (Hysterieforschung) in den öffentlichen Fokus. Mit dem 20. Jahrhundert und den beiden Weltkriegen gerieten die traumatischen Kriegs- und Fluchtfolgen in den Blick.

DSM und ICD

Weil traumatische Erfahrungen die Autonomie so folgenreich bedroht, wurde der Blick auf das Trauma und Traumafolgestörungen oftmals heftig und vehement abgewehrt. So bedurfte es erheblichen wissenschaftlichen Aufwand zur Anerkennung des psychischen Traumas. Erst nach dem verlorenen Vietnam-Krieg wurde es in den USA möglich, dass die vielfältigen Traumaanalysen im offiziell Statistischen Manual der Krankheiten (DSM) Einzug und somit allgemeine Anerkennung fanden. Ab 1980 (DSM III) werden mit dem Begriff „posttraumatic stress desease“ traumatische Belastungen krankheitsrelevant benannt – international (so auch in Europa) einschlägig erst ab 1990 mit der 10. Auflage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD).

In der DSM und ICD werden - unabhängig von traumatisierenden Ereignissen und Kontexten – die Symptome traumatischer Belastung der Form nach, also phänomenologisch beschrieben. Diese phänomenologische Traumadefinition kann den historischen Formwandel der Traumasymptome wenig berücksichtigen. Waren die traumatischen Reaktionen im 19. und Anfang des 20 Jhd. noch äußerlicher (extrovertiert hysterisch, Kriegszitterer u.a.), so erscheinen sie heute mehr inwendiger und bilderreicher (flashbacks u.a.).

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Traumafolge – simuliert?

Mit der Einführung des Haftpflichtprinzips und der Unfallversicherung Mitte bis Ende des 19 Jahrhunderts wurden die existentiellen Daseins-Gefahren (der technischen Entwicklung) sozialisiert und juridifiziert, begleitet von medizinischer Begutachtung. Die medizinische Perspektive auf das Trauma war lange – und ist zum Teil heute noch – geprägt von primär körperlichen Verletzungen und Belastungen, so das psychische Traumafolgen leichter bagatellisiert und – gegenüber Haftungsansprüchen – oftmals als simuliert abgewehrt werden konnte. Besonders die Anerkennung von sexueller Gewalt wurde versagt durch den Verweis, dass die Betroffenen die traumatischen Situationen in der Regel nur unzusammenhängend erinnern, so dass ihnen Lüge und Geltungssucht unterstellt wurde und auf diese Weise das Trauma verdeckt blieb.

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Janet – Dissoziation und der Dreischritt der Traumatherapie

Janet und der Dreischritt der Traumatherapie
Janet hat in seinen Arbeiten zur Dissoziation (1904) darauf aufmerksam gemacht, dass traumatische Erfahrungen unangemessen verarbeitet, vom Bewusstsein abgespalten und in den trancehaften Dissoziationen präsent seien. Traumatherapeutisch komme es darauf an, die traumatischen Erfahrungen in eine erträgliche biographische Erzählung einfügen zu können. Dazu bedürfe es der (biographischen) Neuorientierung, einer Traumaexposition sowie der Stabilisierung. Heute wird das Janetsche Konzept wieder aufgegriffen ergänzt um Ressourcenorganisation in allen Arbeitsschritten.

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Biologische fundierte Psychiatrie versus Traumaforschung

Biologisch fundierte Psychiatrie versus Traumaforschung
Weil die Psychiatrie als Disziplin der Medizin wesentlich biologisch fundiert war, konnte sie bis in die 1970er Jahre dem Diktum des weltweit angesehen Psychiaters K. Schneider folgen, dass dauerhafte psychische Traumata von Dauer zwingend nur bei psychisch kranken Menschen möglich sind. Anders gesagt: gesunde erwachsene Menschen können kein psychisches Trauma erleiden - psychische Traumata seien nur in den ersten Lebensjahren denkmöglich. Eine solche Psychiatrie verhinderte lange u.a. die Anerkennung der Traumafolgen bei Holocaust-Überlebenden, die gemäß Bundesentschädigungsgesetz medizinischer Begutachtung bedurfte.

Zwischen den Weltkriegen und nach dem 2. Weltkrieg waren es zunächst Einzelne, die traumatherapeutisch arbeiteten und forschten, sich international – auf Kongressen und Tagungen – zusammenfanden und zunehmend in Fallstudien und –berichten das heutige Wissen der Psychotraumatologie zusammen trugen. Begünstigte Ende der 1960er die politische Lage in den USA die gesellschaftliche Anerkennung psychischer Traumata, so förderte die Neurobiologie Ende der 1990er auf wissenschaftliche Weise das Verständnis von traumatisierenden Prozessen.

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Neurobiologische Erkenntnisse für die Traumatherapie

Neurobiologische Erkenntniss für die Traumatherapie
Das Stichwort „Plastizität des Gehirns“ verweist auf einen Grundsatz der Neurobiologie: das (menschliche) Gehirn wird als ein neuronales Netzwerk angesehen, also als eine vielfache Verschaltung von Nervenzellen. Plastizität bedeutet, dass die neuronalen Verknüpfungen nicht feststehend sind, sondern sich aufgrund von äußeren Erfahrungen und inneren Erlebnissen ändern – so auch durch traumatische Einschläge.

Ein traumatisches Widerfahrnis ist mit spezifischen und unspezifischen Triggerreizen verbunden – so auch mit etwa mit alltagstypischen Szenen menschlicher Nähe oder körperlichen Empfindungen wie leichte Atemnot. Diese häufig aktiven Trigger bewirken eine Bahnung im Gehirn, also ein immer dichteres Verschaltungsmuster traumatischer Erinnerungen und Bilder, die sich auf diese Weise festsetzen und traumatisiertes (Vermeidungs-)Verhalten und Erleben (flashbacks u.a.) bewirken.

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Trauma und Psychodynamik

Neurobiologisch werden heute neue traumatherapeutische Verfahren begründet. Übersehen wird dabei, dass die Psychotherapie auf diese Weise wiederum biologisch fundiert und der biographische Erfahrungsschatz unterschätzt wird.

Freud hatte sich schon in den 1890er Jahren früh für das Trauma und die Traumaforschung interessiert, dann aber bald darauf hingewiesen, dass es wesentlich auf die (innere) Psychodynamik ankommt, welches Gewicht und welche Bedeutung eine traumatische Erfahrung gewinnt: traumatischen Symptome sind keine reinen Spiegelungen widerfahrener Traumen, sondern psychodynamisch motivierte Reinszenierungen.

Sind moderne neurobiologisch fundierte Techniken geeignet, Monotraumen gut zu behandeln, bedarf es weiterreichender analytischer Verfahren, um komplexe Traumata zu therapieren. Dabei geht es auch um die Aufdeckung traumatischer Introjekte, die - sehr belastend - in der Regel mit verschütteten, wenig erkennbaren Traumata verbunden sind. Die Symptome und Dynamiken solcher verschütteten Traumata sind bis heute noch wenig erforscht.

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