Von der Unmöglichkeit, als Person authentisch zu sein

Ohne Sprache ist man mit sich allein - ohne Möglichkeit, aus sich heraus zu gelangen und ein Gegenüber zu erreichen. Ohne Sprache hat man auch sich nicht und keine Möglichkeit, sich selbst zu finden.

Oft schon wurde betont: „Wer eine Sprache hat, hat eine Welt“. Diese Betonung wäre zu ergänzen: „Mit der Sprache erst haben wir auch uns selbst“. Mit der Sprache finden wir uns im Universum zurecht – und so, wie wir uns zurecht finden, entsteht unsere Welt. Ohne unsere Welt hätten wir uns selbst nicht, wüssten wir nicht, was wir denken und fühlen. Das Denken bliebe leer und das Fühlen dumpf und dunkel.

Es ist eine unüberholbare Erkenntnis der Psychoanalyse, dass vorsprachliche Erfahrungen uns irgendwie betreffen und womöglich umtreiben, uns aber vorbewusst und nicht zugänglich, also verschlossen bleiben. Erst im Ringen um Sprache gelingt es, zu klären, was wir denken und fühlen. Deutlich wird dies in der Poesie, die Dinge und Empfindungen immer wieder betonen muss, damit diese Dinge und Empfindungen überhaupt gegeben sind.

Die Sprache jedoch, die mir Welt und Selbstbegegnung eröffnet, ist meine Sprache und nie ganz die meinige, da wir Sprache teilen. Wenn ich spreche, komme ich aus mir heraus, entäußere ich mich, – und werde dabei verwoben in ein soziales Geschehen. Dies kann nicht radikal genug gedacht werden: Karl Marx hat den hegelianischen Begriff der Entäußerung nicht auf die Sprache, sondern auf die Arbeit durchdacht. Vor allem in seinen späten Schriften – nach Enttäuschungen über missglückte Revolutionen –, d.h. in seinen Pariser Manuskripten, führt er aus, dass der Mensch als leiden­schaftliches Wesen sich entäußern muss, dabei aber gerade von sich entfremdet wird bzw. werden kann und Leiden schafft. Auf die Sprache übertragen bedeutet dies, dass es gar nicht möglich ist (soziologisch gedacht), als Person authentisch zu sein, d.h. echt, original und nur bei sich.