Seelische Verletzung - posttraumatische Psychodynamik
Trauma wird meist definiert als Erfahrung von Gewalt, verbunden mit starker Hilflosigkeit oder auch lebensbedrohlichen Gefühlen. Ein psychisches Trauma allerdings entsteht weniger primär durch solch ein überwältigendes Widerfahrnis, sondern durch die bleibende Hilflosigkeit nach einem traumatischen Einschlag. Ob eine Gewalterfahrung eine seelische Verletzung bewirkt hat, wird also erst posttraumatisch deutlich. Gleiche Schreckenserfahrung – etwa Verkehrsunfälle – werden von verschiedenen Menschen unterschiedlich bewältigt bzw. verkraftet.
Die seelische Verletzung, die in der Traumatherapie beleuchtet wird, geht also eine Gewalterfahrung voraus – wesentlich ist allerdings, wie der oder die Betroffene mit dieser Erfahrung umgehen kann. Entscheidend ist mithin die Psychodynamik während und nach einer traumatischen Erfahrung. Verletzend wird eine solche Erfahrung, wenn Schreckensszenen, Erfahrung von Hilflosigkeit und großer Ohnmacht unbewältigt wie ein Fremdkörper das seelische Leben dominiert oder auch nur prägt.
Traumatisierte leben mit einer tiefen inneren Verletzung, die nicht bewältigt werden kann und immer wieder aufgerufen oder reaktiviert wird. Ein Trauma ist ein Erlebnis, mit dem überwältigende Angst zu schnell und ohne Schutz in die eigene Erfahrungswelt drängt, so dass die Angst zum dauerhaften Begleiter und Fremdköper in der Seele wird.
Traumatisierte verstehen häufig ihre eigenen Gefühle nicht: eine chronische innere Unruhe wechselt sich ab mit depressiven Stimmungsphasen; die starre Ohnmacht gegenüber dem Erlebten kann leicht umschlagen in eine Schreckhaftigkeit und eine scheinbar grundlose Gereiztheit gegenüber Alltäglichem. Um sich zu schützen, versuchen die Betroffenen, belastende Situationen zu vermeiden. Die Betroffenen berichten dann von einem Taubheitsgefühl, das es ihnen schwer macht, mit anderen Menschen enge Bindungen einzugehen.
In der Traumatherapie wird der Blick mithin weniger auf die primäre Gewalterfahrung gerichtet als vielmehr auf den Umgang mit dieser. So wird in der Traumatherapie danach gefragt,
- ob bzw. wie die traumatische Erfahrung angeschaut werden kann bzw. verdrängt werden muss, etwa durch Verleugnung oder durch Spaltung.
- ob bzw. wie hinter einem möglichen Rückzug sich Todesängste einnisten und emotionale Lebendigkeit verstummen lässt.
- ob bzw. wie Trennungsängste oder bleibende (irrationale) Schuldgefühle entstanden sind.
- ob bzw. wie das Trauma destruktiv immer wieder (unbewusst) ausagiert werden muss und so das weitere Leben destruktiv einfärbt.
Das therapeutische Wissen um die Psychodynamiken wird genutzt, um die Resilienz der Betroffenen, also die Selbstheilungskräfte, so zu stärken, dass eine Gewalterfahrung distanzierter betrachtet und als Teil der eigenen Biographie angesehen werden kann. Dazu ist es auch hilfreich wie nötig, dass in der Therapie die Wucht des traumatischen Einschlags Anerkennung findet.
Annäherung an den Begriff Trauma
Es ist eine therapeutische Kunst, einen Gegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Auch die Bedeutung des Begriffes Trauma kann aus verschiedenen Blickwinkeln erschlossen werden, so etwa
- sprachlich, etymologisch: Trauma ist ursprünglich ein griechischer Begriff mit dem Primärsinn „Verletzung“
- literarisch: Homer beschreibt in seiner berühmten Ilias die Schlacht von Troja und darin auch Szenen von psychischer Traumatisierung, wo die Helden für emotionalen Schmerz über den Verrat und den Tod von Nahestehenden in Raserei geraten und nur noch im Tod Ruhe finden können.
- künstlerisch: Picassos Guernica etwa oder Munchs Der Schrei bringen Traumatisches ins Bild lange bevor der Begriff Trauma geläufig wurde.
- soziologisch: die Beschreibung von sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüchen erfasst Dimensionen, die psychotherapeutisch und in der Psychotraumatologie von großer Bedeutung und Relevanz sind.
- psychotherapeutisch wird innerpsychisch das Trauma überwältigende und verletzende Erfahrung beschrieben, die die Ich-Struktur der Betroffenen erschüttert mit Auswirkung auf Körpererleben, Selbsterleben und soziales Handeln/Verhalten.